ACE2 – ein körpereigenes Enzym könnte den Verlauf von Covid-19-Infektionen positiv beeinflussen und als Grundlage für neue Behandlungsmethoden dienen.
Eine Forschungsgruppe um die Wiener Mediziner Manfred Hecking und Roman Reindl-Schwaighofer fand nun Anzeichen dafür, dass der Körper die Konzentration des Enzyms bei schweren Verläufen der Infektion von selbst erhöht. Das könnte Auswirkungen auf ein bereits in Erprobung befindliches Medikament haben.
Corona und Blutdruck hängen zusammen, doch wie ist zum Teil immer noch rätselhaft. Es ist bekannt, dass das Coronavirus ein bestimmtes Enzym namens ACE2, das in der Außenhaut von Körperzellen sitzt und bei der Regulation des Blutdrucks hilft, zum Andocken an die Zellen nutzt, um sie zu infizieren. Experimente an Mäusen legten bisher nahe, dass die Konzentration des Enzyms bei Covid-19-Infektionen sinkt. Eine neue Studie, die vom Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen der Corona-Akutförderung finanziert und von dem Mediziner Manfred Hecking geleitet wird, stellt diese Annahmen nun infrage.
ACE2: Ein Enzym und sein Gegenspieler
ACE2 ist Teil des Renin-Angiotensin-Systems, kurz RAS genannt, das den Flüssigkeitshaushalt des Körpers steuert.
„Das RAS ist unter anderem dafür da, von der Niere ausgehend über die Leber und die Lunge über einige Hauptkomponenten und eine Reihe von Effektormolekülen den Blutdruck und das Blutvolumen aufrechtzuerhalten“, erklärt Manfred Hecking von der Medizinischen Universität Wien.
Der bekannteste „Player“ des RAS ist das Angiotensin II, ein Protein, das für Gefäßkontraktion und damit für Erhöhung des Blutdrucks sorgt und vorrangig vom sogenannten Angiotensin Converting Enzyme, kurz ACE, erzeugt wird. Das oben genannte ACE2, das Eintrittstor des Coronavirus in die Zelle, fungiert als Gegenspieler dazu.
Während ACE bei Stress den Blutdruck steigert, wirkt ACE2 diesem Stress entgegen. Der Teil des RAS, zu dem ACE2 gehört, wird deshalb auch „alternatives“ oder „gutes RAS“ genannt, erklärt Hecking: „Das RAS besteht somit, wie viele physiologische Systeme, aus einem klassischen Spieler und einem alternativen Gegenspieler.“
ACE2 als Medikament
Dass sich die Konzentration von ACE2 bei einer Corona-Infektion verändert, war angesichts seiner Rolle im Infektionsprozess erwartet worden. Tatsächlich gab es bereits zu Beginn der Pandemie Daten, die zeigten, dass ACE2 im Krankheitsverlauf sinken könnte.
„Das wurde im Mausexperiment der Gruppe von Josef Penninger gezeigt“, sagt Hecking. Diese Studie verwendete das Sars-Co-Virus, den Vorgänger des Sars-CoV-2. Man ging davon aus, dass diese Daten auch für Sars-CoV-2 gelten. Das Sinken von ACE2 wurde außerdem für die Gewebeschäden bei schweren Verläufen der Infektion verantwortlich gemacht.
Penningers Team arbeitet nun daran, die Gabe von ACE2 als Behandlungsmethode zu etablieren: „Derzeit läuft eine große Studie, wo ACE2 therapeutisch injiziert wird, und es gibt gute Evidenz, dass das funktionieren kann.“
Die Idee sei zum Beispiel, das Virus quasi zu verwirren, weil es an das gespritzte ACE2 bindet statt an die Zellmembranen und so weniger Zellen infiziert. Außerdem wird auf die protektive Wirkung von ACE2 gesetzt. Die dramatische Verbesserung einer schwer betroffenen Patientin im Rahmen eines Heilversuchs mit ACE2 wurde auch bereits als Case-Report prominent publiziert. Genauere Studien über die Auswirkungen von Corona auf das RAS fehlten bislang.
Überraschendes Ergebnis
Diesen Zusammenhang untersuchte ein Team um Hecking und Roman Reindl-Schwaighofer nun in einer großen klinischen Studie mit Unterstützung des FWF.
Dazu wurde 126 Personen mit einer akuten Corona-Infektion Blut abgenommen und mittels Massenspektrometrie analysiert – einer Methode, die feinste Konzentrationen von chemischen Elementen bis hin zu einzelnen Atomen nachweisen kann. Als Projektpartner fungierte hier das Unternehmen des Bioanalyse-Spezialisten Marko Poglitsch. Er erstellte eine Art Fingerabdruck des RAS der Patientinnen und Patienten.
„Unsere Hypothese war, dass das RAS bei einer Corona-Infektion dysreguliert ist, und es zeigte sich, dass das der Fall war“, so Hecking. Dennoch war das Ergebnis überraschend: „Wir konnten nachweisen, dass das ACE2 bei schweren Verläufen nicht sinkt, sondern sogar steigt.“ Bei schweren Infektionen stieg die Konzentration um mehr als das Siebenfache.
Um den Mechanismus dahinter besser zu verstehen, wurde zusätzlich zu den Corona-Erkrankten eine Gruppe von 27 Personen mit einer schweren Influenza-Infektion untersucht. Dort zeigte sich eine ähnliche Erhöhung der Konzentration von ACE2 wie bei einer Corona-Infektion, obwohl Influenzaviren das ACE2 gar nicht als Eintrittstor in die Zelle nutzen.
Hecking mutmaßt, dass dieser Effekt direkt auf die Lungenschädigung zurückgehen könnte. „Dass nach einer Sars-Infektion ACE2 steigt, muss nicht am Virus liegen. Die Konzentration könnte sich auch erhöhen, weil die Lunge entzündet ist.“ Womöglich produzieren entzündete Lungen häufiger ACE2. Diese Einschätzung teilen Forschungsgruppen wie jene von Roman Ullrich, der eine Arbeitsgruppe zu Forschungen an der Lunge an der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie in Wien leitet. „Die Lunge könnte versuchen, sich selbst zu schützen, indem sie das gute RAS stärkt“, so Hecking.
Medikament trotzdem wirksam
Schon bald könnten Ergebnisse anderer Forschungsgruppen darüber Aufschluss geben. „Roman Reindl-Schwaighofer von der Medizinischen Universität Wien ist dabei, sich die lokale Situation im Lungengewebe anzuschauen“, berichtet Hecking. Das werde sehr spannend. „Es ist besonders wichtig, das Gewebe lokal zu analysieren, nicht nur die im Blut befindlichen Angiotensine“, betont der Forscher.
Die aktuell noch laufende klinische Studie ist Teil eines Forschungsprojektes von Manfred Hecking namens „Covid-19 und RAS-Blockade“, das im Mai 2020 wegen seiner Relevanz in der Corona-Pandemie als das erste Projekt im Fast-Track-Verfahren vom Wissenschaftsfonds FWF genehmigt wurde. Ein Teil der untersuchten Personen stammt aus der größten klinischen Studie zu Corona in Österreich, ACOVACT, bei der die klinische Wirksamkeit von Therapeutika gegen eine Corona-Erkrankung untersucht wird.
Hecking betont, dass seine Daten nicht einer Gabe von ACE2 als Medikament widersprechen. Der Körper ist aber offensichtlich selbst imstande, bei schwereren Covid-19-Verläufen mehr ACE2 zu produzieren. „Eine frühzeitige Verabreichung von hohen Dosen an ACE2 kann vor allem deshalb sinnvoll sein, da der Körper eine Zeit braucht, bis das ACE2 erhöht wird, und es anfangs nicht in klinisch relevanten Dosen vorliegt.“