Die Blumen auf der Wiese blühen in voller Pracht – aber weit und breit ist keine einzige Biene zu sehen. Was heute noch unwahrscheinlich klingt, könnte in Zukunft durchaus häufig vorkommen. Denn Insekten haben einen entscheidenden Einfluss auf die Biodiversität und Blühphasen von Pflanzen. Fehlen Insekten im Umfeld der Pflanzen, verändert sich deren Blühverhalten. Dies kann dazu führen, dass die Lebenszyklen der Insekten und die Blütezeit der Pflanzen nicht mehr übereinstimmen. Gehen die Insekten aber zur falschen Zeit auf Nektarsuche, werden manche Pflanzen nicht mehr bestäubt, haben Forschende der Uni Jena und des iDiv herausgefunden.
Ökosysteme verändern sich weltweit, insbesondere bedingt durch die globale Erwärmung und veränderte Landnutzung. Insektenarten sterben aus und die Insektenbiomasse nimmt ab. Bisher untersuchte die Forschung deshalb, wie sich die Biodiversität von Pflanzen im Rahmen des Klimawandels verändert. Dazu wurden mittels unterschiedlicher Temperatur und Niederschlag verschiedene klimatische Szenarien simuliert.
In einer aktuellen Studie im Fachmagazin „Frontiers in Plant Science“ stellt die Arbeitsgruppe Biodiversität der Pflanzen der Universität Jena um Prof. Dr. Christine Römermann jetzt einen anderen Forschungsansatz vor: In Kooperation mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) um Prof. Dr. Nico Eisenhauer fokussieren sich die Forschenden auf den Einfluss von Wirbellosen, z. B. von Insekten, auf die Biodiversität und das Blühverhalten der Pflanzen. „Wir wissen, dass die Zahl der Insekten sinkt“, erläutert Josephine Ulrich, Doktorandin aus Römermanns Team und verweist auf eine Studie aus dem Jahr 2017, die einen Insektenschwund um 75 Prozent in den vergangenen 30 Jahren feststellt.
Die Jenaer Forschungsgruppe hat nun erstmals detailliert untersucht, inwiefern die sinkende Insektendichte die Entwicklung von Pflanzen beeinflusst. Während bisher nur Freiland-Versuche dazu durchgeführt wurden, nutzte das Forschungsteam das „Ecotron“, eine Forschungseinrichtung des iDiv. In künstlichen Ökosystemen können identische klimatische Situationen simuliert und per Kamera beobachtet werden.
Im Experiment testeten die Forscherinnen und Forscher, wie sich die Pflanzenzusammensetzung und die pflanzliche Entwicklung verändern, wenn der vorhergesagte Rückgang der Insektenzahl um drei Viertel erfolgt.
Wenn die Biene kommt und kaum eine Pflanze blüht
Ulrich und ihre Kolleginnen und Kollegen fanden dabei heraus, dass durch den geringeren Insektenbestand eine Artenverschiebung unter den Pflanzen stattfindet. Dabei erhöht sich vor allem die Häufigkeit der dominierenden Pflanzenarten, z. B. des Wiesenklees. Auch die Entwicklung der Blüte veränderte sich mit abnehmender Insektendichte. Manche der untersuchten Pflanzen blühten früher, andere später. „Durch diese Veränderungen kann es zu einer zeitlichen Diskrepanz zwischen Pflanzen- und Tierarten kommen. Daraus resultieren negative Folgen für das Ökosystem“, so Ulrich, die Erstautorin der aktuellen Studie. Beispiele dafür sind die Nahrungsmittelversorgung der Insekten und der Bestäubungserfolg. Diese Verschlechterung der Ökosystemfunktion könnte einen weiteren Artenverlust von Insekten und Pflanzen nach sich ziehen. Eine andere Folge könnte ein zunehmender Schädlingsbefall der Pflanzen sein. Durch die sinkende Zahl der Insekten, die sich unter anderem von Läusen ernähren, könnten sich diese ungehindert ausbreiten.
Originalpublikation:
Ulrich, J. et al (2020): „Invertebrate Decline Leads to Shifts in Plant Species Abundance and Phenology“, Frontiers in Plant Science,
DOI: https://doi.org/10.3389/fpls.2020.542125