Wie weit fliegen Bienen auf ihrer Futtersuche? Vor allem dann, wenn sie bereits ein Nest mit Proviant versorgen müssen, also an einen festen Ort gebunden sind, zu dem sie immer wieder zurückkehren? Dieser Frage gingen Botanikerinnen und Botaniker der Botanischen Staatssammlung München (SNSB-BSM) und der LMU München nach, indem sie über 2600 Wildbienen im Botanischen Garten München-Nymphenburg markierten. Ihre Ergebnisse veröffentlichte das Forscherteam nun in der wissenschaftlichen Zeitschrift Journal of Hymenoptera Research.
Von Honigbienen weiß man durch Markierung, unter anderem mit Hilfe von Funksendern, wie weit die Arbeiterinnen vom Stock ausfliegen, um Nektar und Pollen zu sammeln. Allerdings sind die Ergebnisse der staatenbildenden Honigbienen, die dazu durchaus mehrere Kilometer weit fliegen können, nicht auf die solitären Wildbienen übertragbar. Eine ausfliegende Honigbienen-Arbeiterin muss sich wenig „Gedanken“ darüber machen, wie lange sie vom Stock fernbleibt, um Nahrung heranzuschaffen, denn im Stock verbleiben immer tausende ihrer Geschwister, die das Nest und den Nachwuchs bewachen und versorgen. Die allermeisten der ca. 580 heimischen Wildbienen hingegen sind Solitärbienen, das heißt ein einzelnes Weibchen versorgt ganz alleine ihren Nachwuchs: vom Nestbau zur Futtersuche, Pollensammeln, Verproviantierung und Eierlegen – bei den meisten Wildbienenarten ist dies ein „One-Women-Business“. Hier muss die Wildbiene streng abwägen: Je länger sie ihr Nest unbewacht lassen muss, desto größer die Gefahr, dass das Nest durch Fressfeinde, Nesträuber oder Parasiten befallen wird. Wissenschaftler haben ebenso bemerkt, dass die Zahl der aufgezogenen Larven umso geringer ist, je weiter ein Wildbienenweibchen fliegen muss, um die nötige Menge an Pollen und Nektar (und gegebenenfalls auch noch Nistmaterial) für ihre Brutzellen heranzuschaffen.
Nester oft nicht in der direkten Nähe der Nahrungsquellen
Die Plätze, an denen Wildbienen ihre Nester bauen, liegen oft nicht in direkter Nachbarschaft zu ihren Nahrungsgründen – wie weit entfernt diese auseinanderliegen dürfen, damit sie für die Bienen noch erreichbar sind, war bisher noch nicht bekannt. In den Fällen, in denen die Nester und die Nahrungspflanzen sich in völlig verschiedenen Lebensräumen befinden (wenn die Wildbiene z.B. an Steilwänden in einen Steinbruch nistet, die Nahrungspflanzen aber nur in Wiesen wachsen), waren die Flugdistanzen leicht zu ermitteln indem man die Abstände zwischen den Lebensräumen ermittelte. Auch wurden bereits vor mehr als 100 Jahren Experimente durchgeführt, bei denen Wildbienen an ihrem Nest gefangen, markiert und dann in verschiedener Entfernung vom Nest wieder freigelassen wurden – man beobachtete, aus welcher Entfernung die Biene noch zurück zu ihrem Nest findet, und ermittelte so die maximalen Flugdistanzen. Diese sind für jede Bienenart unterschiedlich, aber generell fliegen große Bienenart weiter als kleine. Allerdings lieferten solche Experimente immer Maximaldistanzen, sprich Entfernungen, ab derer eine bestimmte Wildbienenart nicht mehr in ihr Nest zurückfindet. Um aber festzustellen, wie weit Wildbienen im natürlichen Verhalten vom Nest ausfliegen, um Nahrung zu sammeln war eine andere Methode nötig.
Markierte Bienen untersucht
In der aktuellen Studie markierten die Forscherinnen und Forscher Wildbienen direkt an ihrem Nest, und zwar so, dass sie in ihrem natürlichen Sammelverhalten nicht beeinträchtigt werden. Nur so kann man sehen, in welcher Entfernung vom Nest Bienen natürlicherweise Pollen sammeln. Die Markierungsversuche wurden von Studenten und Wissenschaftlern der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Botanischen Staatssammlung München (SNSB-BSM) durchgeführt: im Botanischen Garten München-Nymphenburg wurden in den Jahren 2017 und 2018 an zwei großen Insektennisthilfen Wildbienen individuell markiert, um diese dann im Botanischen Garten auf den Blüten wiederzufinden. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Susanne Renner vom Institut für Systematische Botanik der LMU und Botaniker und Wildbienenkenner Dr. Andreas Fleischmann von der Botanischen Staatssammlung München wurden von Doktorandin Michaela Hofmann zusammen mit Bachelor-Studenten der LMU in den beiden Jahren insgesamt 2689 Wildbienen-Individuen markiert. Dazu wurde jedem Tier mit ungiftigem Schelllackkleber ein farbiges, nummeriertes Plastikplättchen auf ihren Rücken geklebt. Mit dieser Methode markieren Imker normalerweise ihre Bienenkönigin. Kleinere Wildbienenarten wurden mit individuellen Farbcodes aus ungiftigem Farblack auf ihrem Rücken markiert. Es wurden sechs Wildbienen-Arten untersucht – größere und kleinere, solche die im Frühjahr fliegen und typische Sommerarten, Arten mit breitem Nahrungsspektrum und Nahrungsspezialisten, die Pollen für ihre Larven nur an einer einzigen oder ganz wenigen Pflanzen sammeln (sogenannte oligolektische Arten). Die markierten Bienen wurden dann während ihrer Flugperiode täglich im Garten an möglichen Futterquellen gesucht. Darüber hinaus konnten auch Besucher des Botanischen Gartens beobachtete markierte Wildbienen melden und mit einem (Handy-)Foto dokumentieren – die Daten aus diesem von den Besuchern sehr gut angenommen Citizen-Science-Projekt flossen ebenfalls in die Studie mit ein, insgesamt gab es 203 Rückmeldungen von gesichteten markierten Wildbienen durch Gartenbesucher.
Ergebnisse besonders relevant für den praktischen Umweltschutz
Von den 2689 markierten Bienen wurden insgesamt 450 wiedergefunden, und die daraus resultierenden Entfernungen vom Nest berechnet. „Die sechs untersuchten Bienenarten haben eine Körperlänge von 6 mm bis 1,5 cm. Insgesamt betrugen die mittleren Flugdistanzen der Weibchen auf Futtersuche zwischen 73 und 121 m – die kleineren Bienenarten flogen dabei wie erwartet weniger weit, als die größeren“, so Prof. Susanne Renner.
Die Ergebnisse der Studie sind besonders relevant für den praktischen Umweltschutz. „Wildbienen brauchen in ihrem Lebensraum zum einen Nistplätze, etwa Totholz oder offene Bodenstellen, zum anderen die passenden Nahrungspflanzen, an denen sie Pollen und Nektar für sich und ihre Nachkommen sammeln können. Beides wird leider in unserer aus- und aufgeräumten Landschaft immer weniger“, so der SNSB-Botaniker und Vorsitzende der Bayerischen Botanischen Gesellschaft, Dr. Andreas Fleischmann. Natürliche, artenreiche Blumenwiesen, Streuobstwiesen, Hecken, Ackerränder, Waldsäume und Gewässerrandstreifen verschwinden durch landwirtschaftliche Intensivnutzung oder aber übertriebenen menschlichen Ordnungssinn zunehmend in unserer Landschaft. „Dabei sind dies für Wildbienen und viele andere Insekten- und auch Pflanzenarten die wichtigsten Lebensräume“, so Fleischmann. „Man kann diese nicht einfach durch die Aussaat von Blühstreifen ersetzen“.
Man müsse die noch vorhandenen, intakten Lebensräume schützen und pflegen, und vor allem wieder miteinander vernetzen. Dafür kann auch die Anlage von naturnahen Flächen mit heimischen Pflanzen hilfreich sein, ebenso wie die Anlage von Nisthabitaten für Insekten. Mit der vorliegenden Studie ist nun auch eine Daumenregel gegeben, wie weit Nistlebensräume für Wildbienen von deren Nahrungsplätzen, sprich artenreichen, blühenden Flächen, entfernt sein dürfen. Für kleinere Wildbienenarten sind dies nur ein paar hundert Meter – idealerweise sollte sich also in nicht mehr als ca. 150 m Entfernung einer Insektennisthilfe eine Fläche mit den passenden heimischen Wildpflanzen befinden.
Originalpublikation:
Hofmann, M.M., Fleischmann, A. & Renner, S.S. 2020. Foraging distances in six species of solitary bees with body lengths of 6 to 15 mm, inferred from individual tagging, suggest 150 m-rule-of-thumb for flower strip distances. Journal of Hymenoptera Research 77: 105-117.
https://doi.org/10.3897/jhr.77.51182