Pilzbiotechnologie: die einmalige Chance auf Nachhaltigkeit

An der TU Berlin arbeitet die Biotechnologin Vera Meyer an neuen biobasierten, ressourcenschonenden Materialien und sieht in der Pilzbiotechnologie eine einmalige Chance auf Nachhaltigkeit.

Prof. Dr.-Ing. Vera Meyer | Foto: Martin Weinhold

Pilze sind Vera Meyer’s Leidenschaft. Aber nicht nur Geschmack, Geruch oder das bizarre Aussehen faszinieren sie. Sie wäre nicht die Wissenschaftlerin, die sie ist, wenn sie nicht eine größere Vision hätte. Sie strebt nicht weniger an als die Transformation der erdölbasierten Gesellschaft in eine biobasierte.

„Pilzen gehört hierbei die Zukunft“, ist sie überzeugt. „Baustoffe, Kleidung, Verpackungen, alles kann man aus Pilzen herstellen, ressourcenschonend und recyclingfähig.“ Was wie eine absurde Utopie klingt, hat wissenschaftlich gesehen Hand und Fuß: „Pilze zu uns zu nehmen, in Brot, Wein, Käse und Bier, ist für uns selbstverständlich“, so die Biotechnologin, die vor zwei Jahren das Citizen-Science-Projekt „Mind the Fungi!“ an der TU Berlin ins Leben gerufen hat. „Aber Pilze können noch viel mehr.

Pilze als Zellfabriken

Weltweit gibt es geschätzt rund sechs Millionen verschiedene Arten, und alle haben spezifische Eigenschaften.Die Biotechnologie nutzt sie schon lange als Zellfabriken. Antibiotika, Cholesterinsenker, Insulin, Vitamine, Enzyme, Biokraftstoffe und vieles mehr stellen sie für uns her.“ Doch Vera Meyer und ihre Kolleg*innen erforschen noch viel weitreichendere Möglichkeiten.

Einige dieser vielseitigen Organismen sind auch potenziell geeignet, um Baustoffe wie Beton oder Rigips, Kleidung aus Leder oder Verpackungen aus Plastik zu ersetzen. Auch Möbel könnte man mit ihnen herstellen. Und nach Gebrauch kommt alles auf den Kompost!

Prof. Dr.-Ing. Vera Meyer, TU Berlin, Institut für Biotechnologie

Pilzbiotechnologie als Innovationsmotor für die Bioökonomie

Die innovativen Ideen, die dahinterstecken – auch die Produktion von klimaneutralen Lebensmitteln und Medikamenten gehört dazu – sind revolutionär. Eine Pilz-Revolution bahnt sich weltweit an. Und die deutsche Forschung spielt ganz vorne mit. Die internationalen Expert*innen sind sich einig darüber, dass die Pilzbiotechnologie ein Innovationsmotor für die Bioökonomie ist. Nicht umsonst sind Vera Meyer und ihr Kollege, der Holzforscher Philipp Benz von der TU München im diesjährigen Wissenschaftsjahr der Bioökonomie zu „Köpfen des Wandels“ gekürt worden.

„Pilze sind gleichzeitig Mikroorganismen und die größten Lebewesen der Welt. Sie kombinieren besonders wertvolle und einzigartige Fähigkeiten in der Biologie, was sie zu biotechnologischen Produktionsmaschinen in zahlreichen Anwendungsfeldern macht“, erklärt Vera Meyer.

„Sie sind eine Art Müllabfuhr in der Natur, Meister der Zersetzung von Biomasse, und können komplexe nachwachsende pflanzliche Rohstoffe durch aktive Enzyme in ihre Bestandteile zerlegen, insbesondere diejenigen aus der Agrar- und Forstwirtschaft. Aber gleichzeitig sind sie auch Meister der Synthese, sie können diese Bestandteile für vielfältigste Produkte neu kombinieren und zusammensetzen. Sie bieten uns damit die einmalige Chance, eine neuartige, vollständig biobasierte Wirtschaftsweise nach den Prinzipien von Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit aufzubauen.“

Prof. Dr.-Ing. Vera Meyer, TU Berlin, Institut für Biotechnologie

Kunst beflügelt Wissenschaft

Inzwischen zeigt sich die internationale Beachtung und Anerkennung, die die Forschung mittlerweile findet, nicht nur in vielen Fachveröffentlichungen. Als kürzlich auf dem Weltgipfel der Spitzenforschung, der Berlin Science Week und der Konferenz „Falling Walls“ die Durchbrüche des Jahres aus 900 Vorschlägen gekürt wurden, gehörte Vera Meyer zu den Finalist*innen. Und auch in ihrer Freizeit lassen Pilze die quirlige Wissenschaftlerin nicht los.

Aus Pilzen, Holz, Knochen, Flechten, Fallobst, Eisenschrott und Bauteilen von Bioreaktoren erschafft sie Kunstobjekte von bizarrer Schönheit. Ihre Skulpturen könnten Märchenreiche oder andere Planeten bevölkern. Der philosophische Ton in ihnen ist subtil, kommt aber dennoch wie ein Fingerzeig mit dem vermorschenden Zaunpfahl: nichts verschwindet in der Natur, alles ist Transformation.

Kunst aus Pilz und Eisen | Foto: Martin Weinhold

Anfang 2020 zeigte sie ihre Kunstobjekte in der Ausstellung „Artomics“, um den Blick der Besucher*innen auf das Unsichtbare um uns herum zu lenken. „Die Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft empfinde ich als fließend“, sagt Vera Meyer. „Die Kunst ist nicht nur eine besonders ästhetische Form der Wissenschaftskommunikation, meine Kunst beflügelt auch meine Wissenschaft.“

Birgit Fischer:
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