Ein Forschungsteam am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) hat neue Wege gefunden, um komplexe Naturstoffe gezielt biotechnologisch nutzbar zu machen. Im Zentrum steht die schwer zugängliche Stoffklasse der polyzyklischen Tetramasäure-haltigen Macrolactame (PoTeMs), die ein großes pharmazeutisches Potenzial besitzt. Die Arbeiten wurden unter der Leitung von Tobias Gulder, Professor an der Universität des Saarlandes und Abteilungsleiter am HIPS, durchgeführt.

Durch die Kombination chemischer Synthese, enzymatischer Katalyse und gentechnischer Ansätze konnten Verfahren etabliert werden, die sowohl eine großtechnische Herstellung als auch eine gezielte Modifikation der PoTeMs ermöglichen.
Biotechnologischer Zugang zur Naturstoffklasse PoTeMs
PoTeMs sind Naturstoffe mit breitem Wirkungsspektrum, deren bekanntester Vertreter Ikarugamycin bereits 1972 entdeckt wurde. Die Herstellung dieser Moleküle war bislang aufwändig und ihre Strukturen kaum modifizierbar. In einer ersten Studie entwickelte das Team ein Verfahren, mit dem Ikarugamycin in großen Mengen biosynthetisch produziert werden kann. Dabei wird das Vorläufermolekül Lysobacterene A durch das Enzym IkaA aus Acetat und der Aminosäure Ornithin synthetisiert. In einem zweiten Schritt formen die Zyklasen IkaB und IkaC, gemeinsam IkaBC genannt, daraus den zyklischen Naturstoff.
Genetische Modifikation für strukturveränderte PoTeMs
Aufbauend auf diesen Ergebnissen wurde in einer weiteren Arbeit ein genetisches „Plug-and-Play-System“ entwickelt. Es erlaubt die gezielte Einführung von Sauerstoffgruppen in die Molekülstruktur der PoTeMs. Damit können bestimmte Eigenschaften wie Löslichkeit oder Bindungsaffinität verändert werden, was den Weg für die Entwicklung spezifischer Arzneimittelanwendungen ebnet.
Erweiterung der chemischen Vielfalt durch Enzymengineering
In einer dritten Studie verfolgten die Forschenden das Ziel, die Kernstruktur der PoTeMs zu verändern. Ausgangspunkt war die chemische Herstellung einer verlängerten Vorstufe des Naturstoffs, deren Molekülgerüst um eine Kohlenstoffeinheit länger war als das von Lysobacterene A. Diese wurde erfolgreich durch IkaBC in Homo-Ikarugamycin umgewandelt – ein bisher unbekannter Naturstoff.
Im nächsten Schritt wurde das Enzym IkaA gentechnisch so verändert, dass es statt Ornithin die längere Aminosäure Lysin als Baustein akzeptiert. So konnte das Bakterium die verlängerte Vorstufe selbst herstellen, wodurch der gesamte Syntheseweg in vivo abgebildet werden konnte. Diese Vorgehensweise ist deutlich ressourcenschonender und kosteneffizienter als eine rein chemische Synthese.
Perspektiven für neue Wirkstoffe
Die Kombination aus genetischer Modifikation und chemo-enzymatischer Synthese stellt eine Plattformtechnologie dar, die es erlaubt, weitere neue PoTeMs gezielt zu entwickeln. Durch die Kombination verschiedener Zyklasen mit modifizierten Varianten von IkaA eröffnen sich neue Möglichkeiten zur Erzeugung strukturell variabler Naturstoffe. Ziel ist es, daraus pharmazeutisch wirksame Moleküle für die Behandlung von Infektionserkrankungen abzuleiten.
Tobias Gulder ist seit Ende 2023 Abteilungsleiter für Naturstoff-Biotechnologie am HIPS. Zuvor war er an der TU Dresden tätig. Im Laufe des Jahres wird sein gesamtes Forschungsteam an den Standort Saarbrücken wechseln.
Originalpublikationen:
Schuler, S., Einsiedler, M., Evers, J.K., Malay, M., Uka, V., Schneider, S. and Gulder, T.A.M. Expanding Polycyclic Tetramate Macrolactam (PoTeM) Core Structure Diversity by Chemo-Enzymatic Synthesis and Bioengineering. Angew. Chem. Int. Ed. 2025, 64, e202420335. DOI: 10.1002/anie.202420335
Evers, J.K., Glöckle, A., Wiegand, M., Schuler, S., Einsiedler, M. and Gulder, T.A.M. (2025), Heterologous Expression and Optimization of Fermentation Conditions for Recombinant Ikarugamycin Production. Biotechnology and Bioengineering, 122: 974-982. DOI: 10.1002/bit.28919
Glöckle, A., Schuler, S., Einsiedler, M. and Gulder, T.A.M. A plug-and-play system for polycyclic tetramate macrolactam production and functionalization. Microb Cell Fact 24, 13 (2025). DOI: 10.1186/s12934-024-02630-8