Digitaldruck im Verpackungsbereich: Tim Sykes über die Herausforderungen

HP Indigo LEP Technologie | Foto: https://www.hp.com/de-de/industrial-printers/indigo-digital-presses/lep-digital-printing-technology.html

Tim Sykes, Brand Director bei Packaging Europe, beleuchtet in folgendem Fachartikel die Herausforderungen für den Digitaldruck im Verpackunsgbereich.

Wenn alle Marktforschungen der letzten Jahre ein Marktwachstum von 10 bis 15 Prozent CAGR (Compound Annual Growth Rate) mit entsprechendem Zuwachs an Marktanteilen für die kommenden Jahre prognostizieren, mag es unnötig provokant klingen, zu behaupten, dass der Digitaldruck im Verpackungsbereich die Erwartungen nicht erfüllt hat.

Das Nutzenversprechen des Digitaldrucks ist hinlänglich bekannt: Die Möglichkeit, innerhalb weniger Stunden vom PDF zum POS zu gelangen, macht nicht nur Kleinauflagen und coole Personalisierungskampagnen wirtschaftlich, sondern ermöglicht auch eine effizientere Lieferkette und eine schlankere Lagerverwaltung. Der digitale Druck von Verpackungen erfüllt somit eine ganze Reihe wichtiger Markttrends und -anforderungen, von flexiblen Marketingkampagnen und der Zunahme von Artikelgruppen bis hin zur Rationalisierung von Prozessen für eine schnellere Markteinführung.

In vertraulichen Gesprächen, die in den letzten Jahren geführt wurden, haben edoch sowohl Markeninhaber als auch Digitaldruckspezialisten eine leichte Enttäuschung darüber geäußert, dass einige der idealistischeren Vorhersagen der digitalen Eroberung noch nicht eingetroffen sind. Was sind die Gründe dafür? Und befindet sich die postCovid-Welt an einem Wendepunkt?

Wir brauchen nicht alles maßgeschneidert

Beginnen wir mit dem vielleicht grundlegendsten und offensichtlichsten Punkt: Der größte Teil des Marktes bedient nach wie vor Aufträge mit hohen Auflagen für Verpackungen, die für die Regale des stationären Einzelhandels bestimmt sind.

Die Hauptvorteile des Digitaldrucks liegen in den Kosten pro Schachtel bei kleinen und mittleren Auflagen in den schnelleren Durchlaufzeiten, die zu einer schlankeren Lieferkette führen, und der Möglichkeit, einzigartige Schachteln rentabel herzustellen. Beispiele hierfür sind Verpackungen mit Sicherheitsmerkmalen, eindeutige Kennzeichnungen für die Rückverfolgung von Waren, Codes für vernetzte Verpackungen und solche, die für bestimmte Profile oder Zielgruppen personalisiert sind.

Montserrat Peidro, ehemalige Leiterin des Digitaldruckgeschäfts von Heidelberg

Dennoch besteht natürlich nach wie vor eine große Nachfrage nach traditionellen Druckverfahren und Standardverpackungen, die in großen Mengen und mit hohen Geschwindigkeiten hergestellt werden – außerdem bewältigen traditionelle Druckverfahren größere Auflagen nach wie vor kostengünstiger und sind sie in der Regel eine wesentlich geringere Investition. Das ist keine Neuigkeit, aber diejenigen unter uns, die sich an disruptiven Innovationen berauschen, täten gut daran, sich an die anhaltende Anziehungskraft der einfachen Mathematik zu erinnern. Solange nicht jeder eine maßgeschneiderte Lösung braucht, wird es einen Platz für analoge Lösungen eben.

Agile Technologie allein wird die Markteinführung nicht beschleunigen

Es gibt jedoch einen bedeutenden und wachsenden Verpackungsmarkt, in dem der Digitaldruck einen Mehrwert bieten kann. Markeninhaber müssen ihre zahlreichen Artikel differenzieren und die Frequenz von Marketingkampagnen erhöhen, um die Aufmerksamkeit der Verbraucher zu erhalten. In diesem Kontext ist nicht der reine Produktionsumfang, sondern die Flexibilität der Schlüssel zur Produktivität.

„Die Druckgeschwindigkeit des analogen Drucks berücksichtigt nicht die gesamte Einrichtung der Druckmaschine, einschließlich Farbkalibrierung, Makulatur, Plattenherstellung und Montage“, sagt Marcelo Akierman (HP Indigo Marketing Manager – Region EMEA). „Die Zeit bis zur Markteinführung wird durch den Digitaldruck drastisch verkürzt; die Markeninhaber können den Proof vor Ort erstellen und das Finishing zur Fertigstellung vornehmen.“

Allzu oft denkt der Endverbraucher jedoch nicht so schnell wie die Technologie. Wie mir ein großer Wellpappenverarbeiter kürzlich mitteilte, kann er eine Änderung der Druckvorlage auf herkömmlichen Druckmaschinen in weniger als einem Tag abwickeln. Wenn die Freigabe des Markeninhabers Tage oder Wochen dauert, ist es durchaus möglich, dass der Engpass sowohl ein operatives als auch technologisches Problem ist. Brands müssen so agil werden wie Digitaldruckmaschinen, wenn sie ihr volles Potenzial ausschöpfen wollen – und sie müssen sich daran gewöhnen, Marketingentscheidungen dezentraler zu treffen. Um die Mehrwerte des Digitaldrucks zu nutzen, ist die Integration in die gesamte Wertschöpfungskette erforderlich.

„Wir vergessen oft, dass die Packmittelproduktion weitaus mehr ist als der Druck und ein Bestandteil einer längeren Lieferkette – vom Verpackungsdesign bis zur Weiterverarbeitung, zu den Verpackungsunternehmen und den Einzelhändlern (online oder physisch)“, bestätigt uns François Martin, Senior Communication Advisor bei BOBST, daran. „Durch Digitaldruckanwendungen lassen sich in einem Prozess, der Monate dauert, einige Stunden oder sogar einige Tage einsparen. Die gesamte Produktionskette für Verpackungen muss neu entwickelt werden. Der Digitaldruck wird Teil der neuen Industrie 4.0-Verpackungslandschaft sein, aber die Digitalisierung eines ganzen Prozesses wird das wichtigste Element sein.“

Umgekehrt werden analoge Drucktechnologien in dem Maße, wie sie an dieses vernetzte Ökosystem angepasst werden, selbst quasi-digital werden.

Anforderungen werden stetig angepasst

Der Digitaldruck ermöglicht eine bessere Interaktion und Kundenbindung, während der digitale Wandel unserer Welt dazu führt, dass die Verbraucher bei jedem touchpoint oder Kundenkontaktpunkt eine zufriedenstellende Kommunikation mit den Marken erwarten.

„Es steht außer Frage, dass die Individualisierung einer der größten Trends ist, der die Einführung des digitalen Verpackungsdrucks vorantreibt“, sagt Donald Allred, VP of Packaging, Memjet. „Wenn Verpackungen in einem späten Stadium des Individualisierungsprozesses hergestellt werden, ist der Einsatz des Digitaldrucks nicht nur möglich, sondern wird von Marken bevorzugt, die mit ihren Verbrauchern in Kontakt treten wollen, indem sie ihre Verpackungen mit personalisierten Botschaften und Bildern versehen. Diese Botschaften können regionale Sportteams unterstützen sowie saisonale Botschaften und/oder Impressionen von aktuellem Interesse transportieren. Vergleichen Sie diese enge Kundenbeziehung mit dem traditionelleren Verfahren, bei dem Marken ihre Produkte an Vertriebszentren liefern. In dieser Lieferkette werden die Produkte an riesige geografische und demografische Märkte verteilt, und es gibt kaum Möglichkeiten für personalisierte Verpackungserlebnisse.“

Die Kapitalrendite wird jedoch zunehmend ausgefeiltere Strategien erfordern als das inzwischen bekannte ‚Produkt mit Ihrem Namen darauf‘. Es handelt sich um ein neues Spiel, und die Erfordernisse für Kundenerlebnisse durch personalisierte Verpackungen werden erst noch aufgestellt.

„Personalisierung geht weit über die individuelle Gestaltung oder das Styling von Produkten hinaus“, meint Jose Gorbea, Leiter der Abteilung Brands & Agencies bei HP GSB EMEA (und früher bei Mondelēz). „Es geht um die intelligente Kuratierung und Gestaltung des gesamten Erlebnisses für die Mitglieder unserer Community: Hersteller, Designer und Verbraucher gleichermaßen. Ein Wandel in der Branche ist das personalisierte Storytelling, wobei die Massenindividualisierung als die nächste Grenze für globale Marken angesehen wird. Mit dem Digitaldruck können Designauflagen, die früher in die Zehntausende gingen, nun Stück für Stück variiert werden, wodurch Etiketten, Verpackungen, POS-Materialien und Direktwerbung relevanter und persönlicher werden als je zuvor. Unternehmen können nun Botschaften direkt an einzelne Kundengruppen richten und sich sozialen Bewegungen anschließen (wie bei der jüngsten #chooseloveKampagne von Smirnoff). Die Geschwindigkeit des Digitaldrucks ermöglicht es Marken auch, mit realen Ereignissen zu interagieren. Zum Beispiel kann man jetzt die Tagesnachrichten auf eine Verpackung drucken, um die Frische eines Produkts zu kommunizieren.“

Unternehmen können jetzt Botschaften direkt an Kundengruppen richten und sich sozialen Bewegungen anschließen. | Foto: Design Bridge

Inmitten dieser unendlichen Möglichkeiten und einiger wirklich beeindruckender Anwendungen hat man das Gefühl, dass die Marken erst am Anfang stehen, um die neuen Chancen zu ergreifen. Wenn digital bedruckte Verpackungen nicht nur eine technologische, sondern auch eine kulturelle Evolution darstellen, habe ich das Gefühl, dass das, was wir heute erleben, eher eine einflussreiche Gegenbewegung ist als ein Mainstream.

Trägheit und Investitionen

Eine weitere Überlegung ist, dass ein industrielles Erdbeben nicht immer über Nacht eintritt. Selbst in den Industrieländern wurden viele Felder noch Jahrzehnte nach der Erfindung des mechanischen Pflugs in Handarbeit bestellt. Wir neigen dazu, uns auf Veränderungen einzulassen, wenn es sein muss – vor allem, wenn wir vermuten, dass der ROI in weiter Ferne liegen könnte. Sprechen Sie mit einem der großen Unternehmen über die Voraussetzungen für den Digitaldruck, und sie werden zugeben, dass die größte Herausforderung darin besteht, den Markt für diese Chance zu begeistern.

„Marken sind mit mehr Artikeln und kleineren Auflagen konfrontiert, aber sie sind mit ihren täglichen Aufgaben so beschäftigt, dass sie nicht verstehen, dass der Digitaldruck nicht nur für spezielle Projekte eingesetzt werden kann“, meint Klaus Lammersiek, Marketing Manager HP Indigo Labels & Packaging EMEA. „Wenn sie nicht über ein digitales System verfügen, ziehen es die Weiterverarbeiter vielleicht vor, weiterhin größere Auflagen auf ihren vorhandenen Druckmaschinen zu produzieren, ohne dass sie weiter investieren müssen. Die Lösung liegt darin, sowohl Brands als auch Verarbeiter über die Möglichkeiten des Digitaldrucks aufzuklären – und jeden Tag sehen wir mehr und mehr digital gedruckte Produkte in den Supermärkten und online.“

Montserrat Peidro ehemalige Leiterin des Digitaldruckgeschäfts von Heidelberg schließt sich dieser Sichtweise an. „Meiner persönlichen Erfahrung nach waren in den letzten Jahren die wichtigsten Faktoren die Fähigkeit, digitale Technologie in bestehende Prepress und Postpress-Prozesse zu integrieren, den Kunden neue Vorteile zu verkaufen und viele kleinere Aufträge pro Tag auf effiziente Weise und mit möglichst wenigen Berührungspunkten zu bewältigen“, sagt sie. „Aber nicht alle Unternehmen sind sich dieser Möglichkeiten bewusst oder berücksichtigen diese Themen bei der Planung ihrer Investitionen.“

Covid und der Direct-to-Consumer-Katalysator

Oben habe ich die Verbindung zwischen dem Digitaldruck und der breiteren digitalen Transformation der Produktion hergestellt. Beim OnlineEinzelhandel können wir dies natürlich im Zusammenhang mit einer umfassenderen digitalen Transformation unserer Kultur und unseres Handels sehen. Noch bevor das Coronavirus alles veränderte, schien es unausweichlich, dass der zunehmende Boom des E-Commerce der ultimative Katalysator für das Wachstum von digital bedruckten Verpackungen sein würde. Erstens hat die Online-Marke oder der Online-Händler eine viel persönlichere Beziehung zu mir als der traditionelle Einkäufer in einem herkömmlichen Supermarkt. Es ist eine Eins-zu-Eins-Kommunikation. Die Marke weiß, wer ich bin, wo ich bin und was ich mag. Sie wird mir ein Produkt, das möglicherweise auf meine Bedürfnisse zugeschnitten ist, direkt liefern.

Als Direct-to-Consumer-Marke, die sich von den schnelllebigen Konsumgüter-Giganten unterscheidet (und in einer ganz anderen Größenordnung), hat Packaging Europe 2019 ein eigenes Experiment zur Individualisierung durchgeführt. Wir verteilten unser Magazin in Wellpapphüllen mit 20 lokalisierten Designs und druckten es auf einer HP PageWide C500 Druckmaschine. Die #unboxingEurope-Kampagne stieß bei unseren Lesern auf große Resonanz – „Liebe“, die sich aus der Möglichkeit ergab, individuelle Abonnentendaten zu nutzen. Da wir den Standort unserer Leser kannten, konnten wir jedem von ihnen nicht nur eine nette, sondern auch eine persönlich wirksame Überraschung bereiten.

Die gleiche Dynamik gilt für die neuen und aufkommenden Lieferketten, die durch Covid enorm beschleunigt werden und auf personalisiertem Konsum basieren und von aufkommenden Directto-Consumer-, On-Demand- oder Abonnement Modellen bedient werden. In diesem Ökosystem wird eine relevante Kommunikation, die die Bedürfnisse und die Identität des Verbrauchers widerspiegelt, die erfolgreichsten Marken auszeichnen. Zumindest bei höherwertigen Gütern wird die späte Individualisierung sicherlich zur Norm werden.

In der Zwischenzeit werden mit den Fortschritten in der Technologie all diese Hindernisse für die Akzeptanz immer weiter abgebaut. Wir werden eine verbesserte Qualität, höhere Geschwindigkeiten, niedrigere Kosten, praktikablere Markteintrittspunkte, eine nahtlosere Integration, Entwicklungen bei Designtools wie algorithmisch generierte iterative Maschinen sehen… All diese Innovationen werden auf der drupa 2024 zu sehen sein – und ich kann es kaum erwarten, sie zu sehen.

Von Tim Sykes, Brand Director bei Packaging Europe

Birgit Fischer:
Related Post